Wenn früh morgens die Ruder durch den spiegelglatten See streifen, fühlt sich Stefan Mühl (28) am wohlsten. Schon früh hat sich der Lehrbeauftragte für Wasser- und Erlebnissport an der Deutschen Sporthochschule Köln dem Natursport verschrieben. Aktuell promoviert er zum Thema Wanderrudern und gibt im Interview einen Einblick in seinen Forschungsbereich im Wassersport und in die Faszination Rudern.
Sie sind selbst viele Jahre lang aktiv gerudert und forschen nun auf diesem Gebiet. Wie sah dieser Werdegang genau aus?
Mit elf Jahren bin ich auf Initiative eines Freundes in einem Ruderverein gelandet. Die Reise führte mich über den Landeskader Schleswig Holstein bis hin zu den Deutschen Meisterschaften und internationalen Regatten. Doch mit meiner Körpergröße von 1,83 m befand ich mich stets in der kritischen Lücke zwischen Leicht- und Schwergewicht und musste immer sehr penibel auf mein Gewicht achten. Aus diesem Grund habe ich mich später vom aktiven Leistungssport verabschiedet und der Trainerrolle gewidmet. Im Rahmen meines Sportstudiums an der Sporthochschule habe ich das Rudertutorium übernommen und bin jetzt als Dozent für Rudern und Erlebnissport am Institut für Natursport und Ökologie tätig. Hier habe ich die Möglichkeit, neben dem Rudern auch meine zweite Leidenschaft für die Winter- und Bergsportarten in den Erlebnissport-Outdoorkursen einzubringen.
Wo liegt für Sie die Faszination im Rudersport?
Rudern ist einerseits ein ganz spezieller Mannschaftssport: Mit den Trainingskollegen sitzt man buchstäblich im selben Boot und kann mitunter eine enorme Geschwindigkeit entwickeln. Andererseits war es für mich immer ein ganz besonderes Erlebnis, als Erster auf dem See zu sein und die Ruhe und Natur zu genießen. Da ist man total konzentriert und kann super abschalten. Außerdem ist der Trainingseffekt auf den ganzen Körper spürbar.
Sie sind nun von der Praxis in die Forschung gewechselt. Welche Schwerpunkte hat Ihre Promotion?
Forschung und Praxis sind für mich miteinander verbunden, weshalb ich nicht von einem Wechsel sprechen würde. Das Hauptaugenmerk meiner Dissertation liegt auf dem Wanderrudern. Hier betrachte ich vor allem die räumlichen und soziologischen Aspekte. Konkret erhebe ich die Gewässer, auf denen Wanderrudern stattfindet und wie stark diese für Wanderfahrten genutzt werden. Immerhin sind laut Schätzungen des Deutschen Ruderverbands ca. 25.000 Wanderruderer regelmäßig auf deutschen Gewässern unterwegs. Weitere Forschungsfragen sind: Weshalb entscheiden sich Ruderer für bestimmte Gewässer? Welche Anforderungen haben sie an diese? Wie setzt sich die Gruppe der Wanderruderer soziodemografisch zusammen?
Welches Ziel verfolgen Sie mit der Untersuchung?
Den Anstoß zu meiner Dissertation lieferte ein Bericht des Verkehrsministeriums, wonach Nebenwasserstraßen in Deutschland zukünftig weniger Förderung zur Instandhaltung der Infrastruktur erhalten sollen, was zum Beispiel Schleusen betrifft. Eine meiner Hypothesen ist, dass gerade die wenig befahrenen Gewässer für Wanderfahrten besonders attraktiv sind. Mit meiner Forschung könnte ich aufzeigen, dass diese Nebengewässer enorm wichtig sind für die Tourismus- und Freizeitbranche und deswegen weiterhin finanziell unterstützt werden sollten.
Wie sieht die Methodik Ihrer Studie aus?
Den Kern der Untersuchung bildet eine repräsentative Onlinebefragung, an der bereits über 1.200 Ruderer teilgenommen haben. Zusätzlich kam eine sogenannte „Visitor Employed Photography“ zum Einsatz. Die Aufgabe der Probanden ist es dabei, positive wie negative Erlebnisse auf ihrer Reise fotografisch in einem Tagebuch festzuhalten. Dort beschreibt und interpretiert der Fotograf zudem seine Aufnahme. Dieser Teil der Untersuchung liefert neben den quantitativen Ergebnissen auch qualitative Rückmeldungen.
Liegen bereits erste Ergebnisse vor?
Ich bin selbst überrascht über das große Feedback der Ruderer und die mit dem Thema verbundenen wissenschaftlichen Erkenntnisse sowie praktischen Probleme. Meine ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei den Wanderruderern ein großer Bedarf an geeigneten Anlegestellen existiert. Diese werden in erster Linie für Motorboote konzipiert, was für Ruderer oft kontraproduktiv ist. Wenn provisorisch am Ufer angelegt wird, schädigt das zudem die Natur. Die freizeitliche Nutzung der Fließgewässer sollte also mit Schutzaspekten in Einklang gebracht werden. Hierfür kann meine Studie vielleicht eine Diskussionsgrundlage darstellen zwischen Sportlern, Behörden und Naturschutz. Die Renaturierung von Gewässern stellt für Ruderer kein zwingendes Problem dar, denn wie sich zeigt, bevorzugen viele Wanderruderer naturnahe und von der Berufsschifffahrt wenig frequentierte Gewässer. Ein spannendes Ergebnis ist außerdem, dass es scheinbar unterschiedliche Typen von Wanderruderern gibt, die sich zum Beispiel in der Anzahl an durchgeführten Wanderfahrten unterscheiden.
Welche Forschungsfragen schließen sich weiter an?
Auf den Ergebnissen meiner Studie aufbauende Fragestellungen könnten sich zum Beispiel mit der Angebots- und Produktentwicklung im Wanderrudern beschäftigen. Mich interessieren aber auch die gesundheitlichen Aspekte des Wanderruderns. Viele fangen im Kindes- und Jugendalter mit dem Rudern an; es gibt aber auch eine steigende Tendenz an Ruderern, die im Alter von 30 bis 50 Jahren neu in die Vereine kommen und schnell ihr Interesse an Wanderfahrten entdecken. Mich würde hier interessieren, wie sich das auf die Gesundheit der Personen auswirkt.
Welche Ziele haben Sie noch für Ihre wissenschaftliche Karriere?
Zunächst einmal steht die Promotion im Vordergrund. Mein Wunsch ist es, auch danach an der Sporthochschule bleiben zu können und weitere wissenschaftliche Projekte durchzuführen. Ebenfalls möchte ich das Lehrangebot im Rudern kontinuierlich weiterentwickeln. Rudern hat darüber hinaus den Ruf einer universitären Sportart. Langfristig könnte ich mir vorstellen, eine hochschulweite Ruderkultur wachsen zu lassen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits getan. Mit dem neu ins Leben gerufenen Ruder-Achter der Sporthochschule haben wir das Ziel, diesen Sommer bei der Kölner Stadtachter-Regatta anzutreten.
Interview + Text: Oliver Riedel