Interview mit Paul Schif zum Tag des Sports für Entwicklung und Frieden

Der 6. April ist der Internationale Tag des Sports für Entwicklung und Frieden.

Im Interview spricht Laureus Sport for Good Geschäftsführer Paul Schif (s. Foto) darüber, welchen Beitrag der Sport-Sozial-Sektor leistet, um Menschen zu helfen, die vom Krieg in der Ukraine betroffen sind.

 

 

Der 6. April ist der Internationale Tag des Sports für Entwicklung und Frieden.

Was ist ihre Botschaft heute?

„Der Satz von Nelson Mandela: ‘sport has the power to change the world’ ist so richtig und wichtig wie eh und je. Er ist das Credo unserer Stiftung Laureus Sport for Good und auch meine Grundüberzeugung. Als am 24. Februar 2022 der Angriffskrieg auf die Ukraine begann, haben wir von der Laureus Sport for Good Stiftung zeitnah entschieden, schnellstmöglich einen Hilfsfonds einzurichten. Heute am 6.April 2022 zum Internationalen Tag des Sports möchten wir hier unseren Schwerpunkt setzen.“

 

Welche Sport- und Bewegungsangebote genau werden angeboten?

„Laureus unterstützt mit dem Sport for Peace Fund insbesondere Sport- und Bewegungsangebote, die den Kindern und Jugendlichen dabei helfen, mit der aktuellen Situation umzugehen. Das Thema mentale Gesundheit spielt dabei eine große Rolle, die Kinder finden sich in einer völlig neuen Situation wieder und haben traumatische Erlebnisse hinter sich. Die Angebote bieten einen sicheren Hafen, hier können sie sich über Erfahrungen austauschen. Es gibt erste Sprachförderungen, zum Beispiel über Fußball, um sich in der neuen Umwelt und mit den Menschen hierzulande zurechtzufinden. Stress und Frustration können durch Bewegung und durch mentale Übungen, zum Beispiel aus dem Yoga, abgebaut werden. Angebote wie Akrobatikkurse bringen Freude in den Alltag, der noch wenig Struktur hat. Die sozialen Organisationen, die Laureus fördert, sind sehr gut vernetzt. Zudem sind die Sport- und Bewegungsangebote oft Anlaufstelle für die jüngere Generation, die dadurch einen einfachen Zugang zu Beratungsangeboten für ihre weiteren Familienangehörigen erlangen. Aktuell finden die Angebote vermehrt als aufsuchende Angebote in den Flüchtlings-unterkünften oder in Jugendeinrichtungen statt. Sobald die Kinder und Jugendlichen in die Schule gehen, werden die Laureus Förderprogramme auch dort aktiv werden. Hier wird der Fokus auch auf einem friedlichen Miteinander liegen, kein einfaches Thema in einer Zeit, in der Sozialkompetenz allgemein durch die Corona-Zeiten stark gelitten hat. Genau hier sind Sport for Good Angebote so wertvoll, denn sie haben nicht nur den unmittelbaren gesundheitlichen Effekt, sondern nehmen die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen auf und unterstützen sie dabei, ihre Herausforderungen zu lösen.“

 

Interview mit Paul Schif zum Tag des Sports für Entwicklung und Frieden
Laureus Sport for Good Geschäftsführer Paul Schif

Erst vor kurzem hatten Sie hier bei Pro7 die Möglichkeit auf diese Projekte hinzuweisen?

Ja genau. Den Pro7 ZOL Beitrag zum neuen Laureus Sport for Good Projekt mit geflüchteten Kindern gibt es hier:

 

https://www.prosieben.de/tv/zervakis-opdenhoevel-live/video/27-sport-fuer-kinder-um-die-sorgen-zu-vergessen-clip

 

Warum hat sich Laureus nicht dazu entschieden, über die Spenden eine der großen Hilfsorganisationen, wie UNICEF zu unterstützen, die sich vor allem um die Belange der Kinder und Jugendlichen im Kriegsgebiet kümmern?

„International unterstützen wir große Hilfsorganisationen, hier wollten wir lokal auch mit unserer speziellen Expertise im Sport-Sozial-Bereich selbst aktiv werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir damit einen wertvollen Beitrag leisten können. ‘sport has the power to change the world’ – Sport und gemeinsame Aktivitäten können in diesen Krisenzeiten ganz wichtige stabilisierende Faktoren sein. Neben der Versorgung der Grundbedürfnisse, können wir im Sport-Sozial-Bereich helfen, Traumata zu verarbeiten und neue Perspektiven zu ermöglichen“.

 

Unterkunft und Versorgung scheinen aktuell die dringendsten Bedürfnisse zu sein. Wieso ist es wichtig, bereits jetzt Sport und Bewegungsangebote für Kinder bereitzustellen?

„Mentale Gesundheit und die Unterstützung in der Bewältigung der traumatischen Erlebnisse spielen eine zentrale Rolle. Hier gibt es im Sport for Good Bereich spezielle Methoden, die den Kindern zum Beispiel dabei helfen, ihre Resilienz wieder aufzubauen und aufkommenden depressiven Tendenzen frühzeitig entgegenzuwirken.“

 

Wie stellt Laureus sicher, dass die Hilfe auch ankommt?

„Das können wir vor allem durch unsere außerordentlich gute Vernetzung und sorgfältige Prüfung sicherstellen. Wir haben langjährige Erfahrungen im Aufbau und in der Optimierung von Strukturen und Programmen, die Qualität garantieren.“

 

Was unterscheidet die Situation heute von 2015 und welche Auswirkungen hat dies auf die benötigte Hilfe?

„2015 kamen vor allem junge Männer aus muslimisch geprägten Ländern nach Deutschland und Österreich. Durch den Krieg in der Ukraine fliehen vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen.

Die Grundbedürfnisse dieser Gruppen nach Unterkunft und Versorgung sind ähnlich, aber die danach benötigten Unterstützungsangebote unterschieden sich stark. Während es bei der Aufnahme und Integration der Geflüchteten 2015 oft um Arbeitsmarkfähigkeit, Spracherwerb und dauerhafter Bleibe ging, wird heute das Schulsystem unter einer viel größeren Herausforderung stehen. Familienspezifische Themen wie Kinderversorgung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf der Mütter werden eine große Rolle spielen. Für den Sport for Good Sektor heißt dies auch, dass die Methoden zur Unterstützung andere sind. Ein Angebot für Kinder zwischen 8-10 muss inhaltlich anders aufgebaut werden als Programme für junge Erwachsene. 2015/2016 wollten die Menschen, die es nach Deutschland und Österreich geschafft hatten, bleiben. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben dieses Ziel nicht. Sie wollen, dass der Krieg ein Ende nimmt und sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Ob und wann dies der Fall sein wird, kann aber aktuell niemand vorhersehen – was es umso schwieriger macht, in der Aufnahme eine gute Balance zwischen Integration und weitere Förderung der nationalen Eigenständigkeit der Bevölkerungsgruppe zum Beispiel im Schulsystem zu bieten. Experten schätzen, dass mehr als eine Million Kinder flüchten werden, da ist jede Hilfe nötig.“

 

Welche Erfahrungen und Strukturen aus 2015 helfen den aufnehmenden Organisationen heute?  Welchen Beitrag kann Sport hier leisten?

„Für die Antwort auf diese Frage müssen wir leicht unterscheiden zwischen dem, was der organisierte Sport – also die Vereine und Verbände – leisten kann und dem, was zivilgesellschaftliche Sport-Sozial-Organisationen anbieten, der Sport for Good Sektor, in der Fachsprache „Sport for Development“ Sektor bezeichnet. Unbestritten ist, dass Sportvereine eine wichtige Anlaufstelle für junge Menschen sind. Sport, und hier vor allem Mannschaftssportarten, funktioniert jenseits von Sprachbarrieren und ermöglicht ein gemeinsames Miteinander, das Vorurteile und Berührungsängste abbaut. Er ist eine wichtige Begegnungsstätte und auch in ländlichen Gebieten eine wichtige gesellschaftliche Säule. Studien weisen nach, dass gerade im Kontext von Flucht und erzwungener Migration der Einfluss von Sport auf die physische und die mentale Gesundheit der Menschen eine entscheidende Rolle spielen kann. Allerdings fehlt es den Menschen, die sich im Sportverein engagieren, sehr oft an der Erfahrung im Umgang mit geflüchteten jungen Menschen. Sie haben keine Ausbildung, die ihnen dabei hilft, entstehende Konflikte zu lösen und auf die spezifischen Bedürfnisse der Kinder jenseits des Sports einzugehen. Sie können nicht bei den Schulaufgaben helfen oder die Eltern bei Behördengängen unterstützen. Sie sind nicht gerüstet für Kinder, die traumatisierende Erlebnisse hinter sich haben und die oft mehr brauchen als nur die Bewegung.“

 

Was ist dieses „Mehr“, das soziale Sport-Programme anbieten können?

„Soziale Sport-Programme oder -Organisationen arbeiten an der Grenze zwischen dem Sport und der offenen Jugendhilfe. Der Sport wird in Programmen, die die Laureus Sport for Good Stiftung fördert, als zentrales Medium eingesetzt, um an schwer erreichbare Zielgruppen überhaupt heranzukommen und Herausforderungen in der Schule, in der Konfliktlösungsfähigkeit, in den Handlungskompetenzen oder der mentalen Gesundheit der Kinder und Jugendlichen in einer spielerischen Art und Weise zu lösen. Hier sind sie Teil eines Sportprojekts und nicht in Therapie oder in der Nachhilfe. Hier sind sie Teil des Teams und nicht „förderbedürftig“. Die Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen und auch die der Eltern spielt dabei eine zentrale Rolle für die Wirksamkeit der Angebote. Der sportliche Rahmen schafft Vertrauen und ermöglicht Trainer*innen und Sozialpädagog*innen und Psycholog*innen erst, die Bedürfnisse der Kinder zu verstehen und entsprechend Hilfsangebote zu machen.“

 

Wie haben die Organisationen aus dem Laureus Netzwerk reagiert, als klar wurde, dass eine große Anzahl an Flüchtlingen nach Deutschland und Österreich kommen wird?

„Die meisten der Organisationen sind sehr gut vernetzt und haben sich früh mit ihren Partnern aus der Zivilgesellschaft und der lokalen Politik zusammengetan, um vorbereitet zu sein. Diese Organisationen sind oft deutlich agiler als staatliche Stellen und durch ihre starke lokale Verankerung oft mittendrin, wenn es gesellschaftliche Veränderungen gibt.

Wir fördern Organisationen, die mit ihren Angeboten Unterkünfte anfahren, um vor Ort mit den Kindern zu arbeiten. Andere bereiten sich darauf vor, in den Schulen die Klassen dabei zu unterstützen, die ankommenden Kinder zu integrieren und potentielle Konflikte vorzubeugen.“

 

Wie engagieren sich die Profi-Sportler*innen, die Teil des Laureus Botschafter-Netzwerks sind?

Die Klitschko-Brüder haben eine enge Verbindung zur Laureus Stiftung. Wie positioniert sich die Stiftung hier politisch?

„Laureus Sport for Good ist eine unpolitische Stiftung. Wir setzen uns ein für eine Welt, in der Kinder und Jugendliche ohne Gewalt und Benachteiligung aufwachsen können. Diese Vision steht in engem Zusammenhang mit unserem Bekenntnis zu den demokratischen Werten in Europa. Aus diesem Grund verurteilen wir jegliche kriegerischen Handlungen und die Gewalt gegen Menschen, vor allem gegen Kinder und Jugendliche.“

„Wir waren bereits in den ersten Kriegstagen im Austausch mit der Klitschko Foundation, um herauszufinden, ob über sie Hilfe für Kinder und Jugendliche in der Ukraine geleistet werden kann. Als Stiftung müssen wir sicherstellen können, dass wir mit unserem Engagement nicht in das politische Geschehen eingreifen und die Gelder der Stiftung dürfen zum Beispiel nicht für militärisches Material ausgegeben werden. Da die Klitschko-Brüder unmittelbar beteiligt sind, haben wir somit eine Unterstützung der Klitschko Foundation ausgeschlossen. Allerdings wird die Klitschko-Stiftung ein wichtiger Stützpunkt im Wiederaufbau sein – hier werden wir sicherlich unterstützen können und wollen.“

 

Was glauben Sie, wird in den nächsten Monaten am meisten gebraucht?

„Solidarität und Hilfsbereitschaft werden über kurz oder lang abebben, dann sind die Strukturen gefragt, die wir jetzt unterstützen. Dies ist keine kurzfristige Krise, es ist keine Naturkatastrophe, die bereits beendet ist und in der es jetzt ums Aufräumen geht. Die Auswirkungen des Krieges werden in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu spüren sein. Als Stiftung sehen wir die Unterstützung als langfristige Arbeit und werden auch in sechs Monaten noch zu Spenden aufrufen. Denn wenn die Menschen bleiben, dann ist der Sport die Begegnungsplattform, die ein gutes Miteinander fördert.“

 

Link zum „Laureus Sport for Peace Humanitarian Action Fund”: www.laureus.de/spenden

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