Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“

Hilke Patzwall

Der Einsatz von natürlichen und recycelten Materialien ist für eine nachhaltige Produktion unerlässlich. Doch damit nicht genug: Bekleidungsspezialist Vaude hat mit seinem eigenen Green-Shape-Standard diverse Kriterien für eine nachhaltige Fertigung von den Materiallieferanten über die Rohstoffe bis hin zu sozialer Verantwortung festgelegt. Der pressedienst-fahrrad sprach mit CRS-Managerin Hilke Patzwall über die Hintergründe und Verbesserungen von Green Shape.

Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“pd-f: Vaude hat mit Green Shape ein eigenes Label für die Einhaltung von nachhaltigen Produktionsstandards. Wie kann ein Käufer sicher sein, dass es sich hier nicht nur um ein Marketing-Versprechen handelt?

Hilke Patzwall: Wir stellen bei Vaude komplett unterschiedliche Produkte her, wollten aber ein Siegel, das für alle unsere Bereiche anwendbar ist. Wir haben jedoch auf dem Markt keines gefunden, das unseren Ansprüchen entspricht. Also haben wir seit 2009 das Green-Shape-Konzept erarbeitet, das sich mittlerweile auf dem Markt etabliert hat. Green Shape umfasst den gesamten Produktlebenszyklus vom Design über die Produktion bis hin zu Pflege, Reparatur und Verwertung. Nicht nur Hauptmaterialien, sondern auch Zusatzprodukte wie Fäden oder Reißverschlüsse müssen die strengen Kriterien erfüllen. Diese sind transparent und für jeden einsehbar. Zudem werden sie laufend überprüft und zusätzlich veröffentlichen wir jedes Jahr unseren Nachhaltigkeitsbericht. Vaude ist in diesem Bereich ein Pionier der Branche und hat ein eigenes Bewertungssystem für umweltfreundliche Sport- und Outdoor-Produkte entwickelt. Mit der Einführung von Green Shape 2.0 im Jahr 2015 haben wir die Standards nochmals erhöht.

Was ist der Unterschied von Green Shape zu anderen Zertifizierungen?

Einerseits muss das Produkt zertifiziert sein, aber auch der Hersteller des Materials muss umweltzertifiziert sein. Das gibt uns eine doppelte Sicherheit gerade im Umgang mit Chemikalien in der Produktion. Green Shape schließt den Einsatz besonders kritischer Materialien und Technologien ausdrücklich aus: PVC, Fluorcarbone, chlor- und hypochlorithaltige Bleichmittel, Nanotechnologie oder lösungsmittelhaltige Drucke. Jedes Green-Shape-Produkt muss sich leicht pflegen und reinigen lassen und darf keine chemische Reinigung benötigen.

Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“Kontrolliert einzig Vaude die Einhaltung von Green-Shape-Standards oder werden internationale Grundlagen und Partner hinzugezogen?

Die Gemeinwohl-Ökonomie, eine Initiative, die unternehmerische Verantwortung qualitativ analysiert, bewertet uns im Bereich „Ökologische Gestaltung von Produkten“ als vorbildlich. Auch der positive Einfluss auf die „Erhöhung der sozialen und ökologischen Branchenstandards“ in der gesamten Outdoor-Branche wird hervorgehoben. Um Green Shape noch glaubwürdiger zu machen, möchten wir einen stringenten, internen Auditprozess und eine unabhängige Verifizierung einführen. Daran arbeiten wir gerade.

Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“Green Shape gibt es bereits seit 2010. Was hat Vaude seitdem gelernt?

Als wir 2009 anfingen, unsere Produktentwicklung konsequent Richtung Nachhaltigkeit zu steuern, war das Bewusstsein für ökologische und soziale Aspekte von Bekleidung gerade erst am Entstehen. Der Lernprozess erfasste die ganze Branche und wir konnten uns stetig weiter entwickeln. Bis zur Sommerkollektion 2015 umfassten die Green-Shape-Kriterien nur die verarbeiteten Materialien. Das reicht heute aber nicht mehr aus. Bei Green Shape 2.0 wird jetzt der gesamte Produktlebenszyklus geprüft. Angefangen vom Design über die verwendeten Materialien bis hin zu den Produktionsstätten, Recycling und Gebrauch sowie Pflege der Produkte. Die Ansprüche der Kunden in den Fragen der Nachhaltigkeit steigen und wir müssen uns diesen Entwicklungen stetig anpassen.

Wie wird das Label den aktuellen Entwicklungen angepasst?

Green Shape 2.0 ist bereits sehr umfassend, trotzdem bietet es noch Platz für zukünftige Entwicklungen. Hier geht es in erster Linie um klare Vorgaben und Kriterien. Beispielsweise möchten wir gerne innovative Materialien und Technologien ausprobieren, die allerdings noch nicht die Green-Shape-Bedingungen erfüllen. Auch fehlen Vorgaben für das Recycling von Green-Shape-Produkten oder für die Reparierbarkeit. Wir haben noch einiges zu tun. Z. B. arbeiten wir gerade an Green Shape 3.0, wo uns genau solche Kriterien und Fragen beschäftigen.

Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“Warum muss Nachhaltigkeit noch in eine große Kampagne verpackt werden? Ist der Kunde noch nicht so weit, sich ausführlich mit dem Thema zu beschäftigen und achtet noch immer zu viel auf den Preis?

Zu Beginn wurde der Wunsch an uns herangetragen, nicht nur „bessere“, weil umweltfreundlichere Produkte herzustellen – im Laden sollte man sie auch als solche erkennen können. Letztendlich geht es bei einem Label wie Green Shape darum, umweltfreundliche Produkte für die Nutzer sichtbar zu machen. Der Kunde kann dann selbst entscheiden, wie er seine Kaufentscheidung trifft. Das Wohl von uns allen und unseres Planeten sollte mit bedacht werden. Oft sind nachhaltig hergestellte Produkte nicht wesentlich teurer als andere. Mit der neuen Green-Shape-Kampagne zeigen wir, welche Vorteile es für die Umwelt bringt, wenn jeder auf sie achtet. Damit sind wir übrigens nicht allein. Immer mehr Akteure der Textil- und Outdoor-Branche erarbeiten Instrumente, mit denen sich die Auswirkungen eines Produktes auf Mensch und Umwelt messen und vergleichen lassen.

Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“Warum haben manche Vaude-Produkte kein Green-Shape-Siegel?

Wir stehen besonders bei Zelten, Rucksäcken und Schuhen noch vor großen Herausforderungen. Materialien wie Hartplastik, Metalle oder Schäume für Schuhsohlen sind aus ökologischer Sicht eine harte Nuss. Auch das Verständnis bei den Lieferanten für eine nachhaltige Herstellung ist noch ausbaufähig. Aber wir sind auf einem guten Weg. Bei unserer Bekleidungskollektion liegt der Green-Shape-Anteil bereits bei 90 Prozent.

Was bedeutet Green Shape bei ohnehin natürlichen Produkten wie Merinowolle?

Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich. Wolle wird herkömmlicherweise mit Chlor behandelt, was im Abwasser oder bei der Verbrennung von Produktionsabfällen Dioxin verursachen kann. Für Green Shape ist deshalb ausschließlich chlorfrei gebleichte Wolle zugelassen. Zudem müssen die Lieferketten der Zulieferer entsprechend zertifiziert sein. Green Shape gilt ja nicht nur für Material, sondern für die komplette Lieferkette. Grundsätzlich versuchen wir, Naturmaterialien und nachwachsende Rohstoffe einzusetzen. Hier gibt es aber eine Reihe von Fallstricken, z. B. genmanipulierte Pflanzen, Nahrungsmittelkonkurrenz oder Tierschutzaspekte. Wir entscheiden deshalb für jedes neue Material und jeden Fall einzeln.

Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“Gerade in der Sport- und Outdoor-Industrie wird viel über die gesundheitsgefährdenden Zustände und Arbeitsbedingungen in Produktionsstätten in Ländern wie China, Vietnam oder Kambodscha diskutiert. Wie stellt Vaude sicher, dass die Gesundheit und Rechte der Arbeiter bei seinen Produktionspartnern eingehalten werden?

Wir sind Mitglied der Fair Wear Foundation, einer unabhängigen Non-Profit-Organisation. Dadurch verpflichten wir uns, in allen Produktionsstätten einen strengen Verhaltenskodex einzuhalten und damit höchste Standards für sozial gerechte Arbeitsbedingungen zu erfüllen. Die Fair Wear Foundation prüft bei regelmäßigen Kontrollen unsere einzelnen Produktionsbetriebe. Seit 2015 sind wir zudem in der höchstmöglichen Kategorie „Leader“ eingestuft. Diesen Status erhalten nur Hersteller, bei denen mindestens 90 Prozent der Produktion in Betrieben nach den Vorgaben der Fair Wear Foundation stattfinden. Bei Vaude sind es sogar 100 Prozent der Produktionsbetriebe.

Interview: „Merinowolle ist nicht automatisch umweltfreundlich“Wie sorgt Vaude für eine lange Haltbarkeit seiner Green-Shape-Produkte?

Über unser Qualitätsmanagement haben wir strenge Vorgaben bei Material- und Verarbeitungsqualität. Wir haben auch eine sogenannte Eco Design Policy, die wir immer stärker in der Praxis umsetzen. Diese beschäftigt sich z. B. mit der Verbesserung von Schnittführung und technischen Details, damit ein Produkt reparierbar ist und damit auch länger „lebt“. Der Nutzer selbst hat auch einige Stellschrauben, um die Produktlebensdauer zu verbessern. Zu fachgerechter Pflege und Reparatur bieten wir entsprechende Tipps.

Related posts